Gebrauchsanweisung für Rumänien by Schmidt Jochen
Autor:Schmidt, Jochen
Format: epub
Tags: Reise
Herausgeber: Piper
Empört euch!
Straßenarbeiter vor dem Hotel, sie bauen eine Verkehrsinsel aus. Acht Mann stehen rum, und einer bedient den Presslufthammer. Am Straßenrand haben sie ihre Rucksäcke an den Zaun gehängt, ein Stück Spiegelscherbe steht für die Toilette bereit. Ein typisches Bild, wo Straßenarbeiten stattfinden, sieht man die Mehrzahl der Arbeiter im Schatten eines Baums sitzen oder in Schubkarren dösen. Einem von mir noch unergründeten Gesetz zufolge steht aber immer wenigstens einer und buddelt oder verteilt mit einer Schaufel flüssigen Teer über dem Pflaster. Der Graben hat in der rumänischen Literatur zumindest einmal eine interessante Rolle gespielt, in Panait Istratis Erzählung »Neranzula«. Der Autor hat lange ein Landstreicherleben geführt und kam über einen Selbstmordversuch in Nizza zur Literatur, weil er in der Brusttasche ein an Romain Rolland gerichtetes Selbstbekenntnis hatte, das diesem zugestellt wurde. Man hat ihn überredet zu schreiben, wozu er die französische Sprache nutzte. Der »Gorki des Balkans« war in den 1920ern europaweit erfolgreich. Die Dreiecksgeschichte zwischen einem rumänischen und einem griechischstämmigen Jungen und Neranzula, einer schönen Roma, spielt in Brăila, Istratis Heimatstadt an der Donau. Neranzula ist Wasserträgerin in ihrer Mahala, ein Waisenkind, ihre Mutter sagte immer zu ihr: »Du hast dich in meine Eingeweide gekrallt wie die Zecke ins Tierfell!« Sie weiß, dass man einer Rivalin unheilbare Krankheiten schicken kann, indem man ihr bei Vollmond Frösche in den Hof wirft, den Mund mit Quecksilber gefüllt und zugenäht. Die Jungen bekämpfen sich beim Drachensteigen, oder sie schwimmen mit einer aufgeblasenen Schweinsblase durch die Donau und riskieren dabei ihr Leben. Neranzula springt immer über den Graben, der für eine neue Wasserleitung ausgehoben wurde, durch die sie ihre Arbeit verlieren wird. So springt sie auch zwischen den beiden Jungen hin und her. Aber: »Man kann nicht zwei Säbel in eine Scheide stecken.« Am Ende trägt der Erzähler seinen verkrüppelten, tuberkulösen Rivalen, der eine Zeit lang Neranzulas Mann war, auf den Schultern, und sie ziehen bettelnd durch Ägypten.
Wir treffen uns am Kunstmuseum, im ehemaligen Königspalast. Eine sympathische Studentin erklärt uns die Ikonenmalerei, deren Motive der Maler in einer bestimmten Reihenfolge zu beherrschen lernte. Botezul Domnului, Jesus’ Taufe. Întâmpinarea Domnului, Jesus’ Ausstellung im Tempel. Schimbarea la Faţă, die »Verklärung Jesu«, bei der man Jesus auf dem Taborberg sieht, die Apostel zu seinen Füßen sind geblendet von seiner Aura. Aber dadurch lernten sie erst richtig zu sehen. Durch eine bestimmte physische Praxis und Gebete könnten auch wir des Taborlichtes teilhaftig werden. Im Heiligenschein von Jesus steht immer auf Griechisch ὁ ὠν (»ho on«, »der Seiende«).
Deniz geht mit mir anschließend zu »Angst«, das keine Fleischerei ist, wie ich dachte, sondern eine Supermarktkette. »Angst – Excelenţa face diferenţa«. Auf dem Etikett einer Salami im Kühlregal steht: »Salam demisec«. Sie haben die Bezeichnung »halbtrocken« einfach vom Wein übernommen, weil sie es für eine Qualitätsbezeichnung hielten. Zum Portionieren des Hackfleischs benutzt die Verkäuferin eine alte Windows-CD. Für eine Tüte bezahlt man 0,1 Leu »ecotaxa«.
Die Zeitung vermeldet, dass die Rumänen beleidigt sind, weil sie bei der Eröffnung des Nationalstadions nun statt gegen Argentinien gegen San Marino spielen werden, »die Barfüßigen Europas«.
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